
Tätowierungen: Von ritueller Kunst zur globalen Kultur
Eine Welt ohne Tätowierungen? Komische Vorstellung. Immerhin gehören Tattoos für viele von uns inzwischen einfach dazu. Wir nutzen sie als individuellen Körperschmuck, als ästhetisches Statement. Vor allem aber, um uns selbst – unsere Geschichte, unsere Interessen und Persönlichkeit – auszudrücken. Vorbei sind die Zeiten, in denen Tätowierte sozial geächtet wurden und man mit den gestochenen Hautbildern Knast, Seefahrerei und Rotlichtmilieu verband. Klar, noch immer gibt es die Unverbesserlichen, die uns Zugehackten misstrauisch beäugen und uns niemals über den Weg trauen würden.
Doch, so empfinde ich es, ist es inzwischen zu einem großen Teil gesellschaftlich akzeptiert, Tattoos zu tragen. Doch wie fing das mit uns und den Tätowierungen überhaupt an? Wer tätowierte zuerst und warum? Wie entwickelte sich das Ganze, bevor es zu dem wurde, was es heute ist? Das dröseln wir für euch auf. Von Mimi Erhardt
Das Ötzi-Tattoo oder: Die Ursprünge der Tätowierung
Tätowierungen gehören zu den ältesten Ausdrucksformen der Menschheit. Archäologische Funde zeigen, dass Menschen schon vor über 5000 Jahren ihre Haut mit Tinte verzierten – Ötzi, die Gletschermumie aus den Alpen, trug Strichmuster auf Armen und Beinen. Auch in Ägypten, Polynesien, Japan und bei indigenen Völkern Amerikas spielte die Tätowierung eine wichtige Rolle. Sie diente als Ausdruck von Stammeszugehörigkeit und Status, als Schutzsymbol und spirituelles Zeichen.

Warum heißt es eigentlich Tätowierung?
Der Begriff geht zurück auf das polynesische Wort tatau, das so viel wie „zeichnen oder markieren“ bedeutet. James Cook und andere Seefahrer brachten es im 18. Jahrhundert von ihren Reisen aus Tahiti und Samoa nach Europa. Die Engländer übernahmen das Wort, und so wurde im englischsprachigen Raum aus tatau zunächst tattow, bis schließlich das heute immer noch geltende Tattoo Einzug hielt.
Das deutsche Wort Tätowierung ist dagegen relativ jung und entstand erst im 18. Jahrhundert. Davor sprach man in deutschsprachigen Landen allgemein von „Hautmalereien“, „Einritzungen“ oder „Zeichen auf der Haut“.
Knochen und Farbpigmente aus Ruß: Die Entwicklung des Tätowierprozesses
Von Tätowiermaschinen und -nadeln sowie Farben, mit denen sich Motive nach Wunsch zaubern ließen, konnten die ersten Tätowierfans nur träumen. Die Art und Weise, wie Tätowierungen gestochen werden, hat sich im Laufe der Jahrtausende stark verändert:
● Frühe Techniken: In vielen Kulturen wurden Nadeln, Knochen, Dornen oder Holzstäbchen verwendet, um die Haut manuell zu ritzen oder zu punktieren. Farbpigmente aus Ruß, Pflanzen oder Mineralien wurden in die Wunden eingerieben. Polynesische Traditionen nutzten beispielsweise ein „Hand-Tapping“-Verfahren mit Kämmen und Hämmern.
● Traditionelles Handwerk: In Japan entwickelte sich das Irezumi, bei dem Motive mit speziellen Nadeln (tebori) von Hand gestochen wurden – eine Technik, die bis heute von einigen Meistern gepflegt wird.
● Die Tätowiermaschine: 1891 meldete Samuel O’Reilly in den USA das Patent für die erste elektrische Tätowiermaschine an, basierend auf einer Erfindung von Thomas Edison. Sie machte das Stechen schneller, präziser und hygienischer.
Moderne Geräte: Heute gibt es verschiedene Maschinentypen (Spulenmaschinen, Rotary-Maschinen, Pen-Maschinen), die je nach Stil und Vorlieben eingesetzt werden. Dazu kommen sterile Einwegnadeln, professionelle Farbpigmente und eine klare Regulierung der Hygienevorschriften.
Digitalisierung und Technik: Tablets und Grafikprogramme erleichtern das Designen von Motiven, während moderne Maschinen leiser, leichter und hautschonender arbeiten. Auch Laser-Technologien zur Tattoo-Entfernung oder -Korrektur sind ein relativ neues Feld.
Nur was für Knastis und Seefahrer? Der Ruf der Tattoos im Laufe der Zeit
Während in Europa Tätowierungen lange Zeit als Zeichen für Seefahrer, Strafgefangene und andere gesellschaftliche Außenseiter galten und darum einen mehr als miesen Ruf genossen, waren sie in anderen Kulturen hoch angesehen. Im 18. und 19. Jahrhundert brachten Seefahrer tätowierte Motive aus Polynesien, Japan und Südamerika nach Europa zurück. Die moderne Tätowiermaschine machte Tattoos zugänglicher – ein Wendepunkt für die weltweite Verbreitung.
Seit den 1970er-Jahren wandelte sich die Szene stark: Tattoos entwickelten sich von Subkultur-Symbolen zu einem Mainstream-Phänomen. Heute tragen Menschen aller Altersgruppen, sozialen Schichten und Hintergründe Tätowierungen. Zwar gibt es noch immer viele Kritiker, und auch in vielen Jobs sind sichtbare Tätowierungen unerwünscht, doch ist die Akzeptanz insgesamt enorm gestiegen.
Dennoch gibt es regionale Unterschiede: Während Tattoos in westlichen Ländern weit verbreitet sind, werden sie in Japan aufgrund der Assoziation mit der Yakuza, der „japanischen Mafia“, oft noch kritisch gesehen.

Schwalben und schwarze Arme: Die wichtigsten Tattoo-Stile
Okay, wie fange ich diesen Absatz an? Denn heute existieren gefühlt unzählige Tattoo-Stile, die alle ihre Bedeutung und Anhänger haben. Also habe ich mir die rausgesucht, die ich persönlich am bedeutsamsten finde. Wenn euch noch weitere einfallen, die unbedingt in diesen Beitrag gehören, schreibt uns bei Instagram doch eine Nachricht, und wir ergänzen sie dann hier 🙂
Hier also einige der Stile, die sich besonders etabliert haben.
● Traditional / Old School: Dicke Linien, kräftige Farben, maritime Motive (Anker, Schwalben, Rosen)
● Japanese / Irezumi: Großflächige Körperkunst mit Drachen, Koi-Karpfen, Wellen und Kirschblüten
● Tribal & Polynesisch: Geometrische Muster, die kulturelle Zugehörigkeit und/oder persönliche Geschichten ausdrücken. Der polynesische Tattoo-Stil umfasst unter anderem auch die Welt der samoanischen, tahitianischen und der Maori Tattoos
● Realistic / Portrait: Detailgetreue Abbildungen von Gesichtern, Tieren oder Objekten
● Heavy Blackwork & Geometric: Reduzierte Designs, Muster, Mandalas, oft großflächig nur mit schwarzer Tinte tätowiert
● New School: Comicartige, verspielte Motive mit übertriebenen Proportionen und kräftigen Farben.

Quatsch-Idee und Schutzsymbol: Symbolik & Bedeutungen
Ich muss zugeben, dass meine neueren Tattoos oft nur das Ergebnis spontaner Quatsch-Aktionen waren. So trage ich unter anderem eine Bratwurst mit Senf, die Spongebob-Ananas sowie diverse Zitate auf meinem Körper, darunter eins von Ed Sheeran. Meine ersten Tätowierungen dagegen hatten oft große Bedeutung für mich und waren häufig lange geplant. Tatsächlich sind Tätowierungen nicht nur Schmuck, sondern Träger von Geschichten, Erinnerungen und Träumen. In vielen Kulturen waren sie Ausdruck von Zugehörigkeit, Mut oder Spiritualität. Hier einige der wohl gängigsten Gründe, warum wir uns tätowieren lassen.:
● Identität & Zugehörigkeit: In polynesischen Kulturen erzählten Muster ganze Lebensgeschichten, waren Zeichen von Familienstand- und zugehörigkeit, Rang, spiritueller Verbindung. Ähnliches galt für Stammestattoos in Afrika oder bei den indigenen Völkern Amerikas.
● Schutz & Spiritualität: Tätowierungen als spiritueller Schutz haben eine extrem lange Tradition, und dies in fast in allen Kulturen. In Thailand gibt es zum Beispiel die sogenannten Sak Yant-Tattoos, die von Mönchen gestochen werden und Glück oder Schutz verleihen sollen. Bei polynesischen Tätowierungen wurden bestimmte Linien und Symbole gezielt gegen böse Geister eingesetzt. Und auch die christlich-abendländische Kultur kennt die Tradition. So ließen sich schon Kreuzritter Kreuze tätowieren, um ihren Glauben zu zeigen und göttlichen Schutz zu erbitten.
● Rebellion & Freiheit: In Europa und den USA wurden Tattoos lange mit Seefahrern, Soldaten und Subkulturen verbunden – sie standen für Abenteuerlust, Härte oder das Ausbrechen aus gesellschaftlichen Normen.
● Individuelle Geschichten: Heute tragen viele Menschen Tattoos, die persönliche Wendepunkte markieren – Geburt, Verlust, Neuanfang – oder einfach ein starkes ästhetisches Statement sind.
● Mode & Lifestyle: Gleichzeitig sind Tattoos längst ein Teil der Popkultur. Manche wählen Motive auch ohne tiefere Symbolik, schlicht weil sie schön sind oder den eigenen Stil unterstreichen.
Von Sailor Jerry bis Kat Von D:
Bedeutende Tattoo Artists Die Tattoo-Szene lebt von herausragenden Künstlern, die Stile geprägt und weiterentwickelt haben. Einige international bekannte Namen sind:
● Sailor Jerry (Norman Collins): Der große Pionier des Old-School-Stils
● Horiyoshi III: Einer der bekanntesten japanischen Meister des Irezumi
● Kat Von D: Brachte Tattoos mit ihren TV-Shows in den Mainstream
● Paul Booth: Berühmt für düstere, realistische „Dark Art“-Tattoos
● Dr. Woo: Star-Tätowierer in Los Angeles, bekannt unter anderem für seine Fineline Tattoos
Das ist nur eine Mini-Mini-Auswahl, denn heute gibt es unzählige herausragende Künstler weltweit, die über Social Media Millionen Follower erreichen und die Szene dynamischer machen als je zuvor. Hier findet ihr übrigens einige Lieblings-Tattoo-Artists der KinKats-Redaktion:
● Sebastian Domaschke
● 3Kreuze
● Tobi der Dude
● Gi aka Slow Pokes
● Paul Bähr